Dienstag, 24. Oktober 2017

Mitarbeiterentwicklung: fachliches Hierarchiedenken oder Eigenverantwortung mit individueller Anerkennung?

Die sukzessive Umsetzung agiler Managementprinzipien in Softwareentwicklungsunternehmen fordert nicht nur dem Management massive Veränderungen ab. Auch seitens des Mitarbeiters ist ein Umdenken erforderlich. Dies betrifft in besonderer Weise – wenn auch nicht ausschließlich – den Blick auf den persönlichen Karrierepfad und die Art und Weise, wie dieser beschritten wird.

Junior – Experte – Senior – Architekt?

In klassischen Organisationen wird der Weiterentwicklung von Entwicklern in der Regel mit dem Ansatz begegnet, dass der Arbeitgeber vergleichbar einer hierarchischen Struktur fachliche Rangstufen definiert. Diese sind häufig mit der Gehaltsentwicklung verknüpft, ohne jedoch eine konkrete Veränderung der Rolle mit sich zu bringen. Klassifiziert und honoriert wird eine Persönlichkeitsentwicklung – wobei die Kriterien, wie die jeweils nächste Stufe erreicht wird, zumeist unklar sind.

Ist das Alter ein Kriterium? Oder die Anzahl der Projekte? Die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit? Die Begleitung bestimmter Fortbildungen? Die Einschätzung der fachlichen Kompetenz durch den disziplinarischen Vorgesetzten? Bei der individuellen Entscheidung für einen Mitarbeiter, ob die nächste Stufe erreicht wurde, wirken vielfach mehrere dieser Aspekte mit - gewürzt von einer ordentlichen Portion Willkür.

Architekt. Und was nun?

Mit zunehmendem Alter, Erfahrung und langjähriger Betriebszugehörigkeit erreichen Softwareentwickler nahezu automatisch den obersten Rang: ob der nun „Senior Architect“, „Chief developer“ oder gar „Heavy chief“ heißt. Was passiert dann? Ist die Persönlichkeitsentwicklung mit 38 Jahren abgeschlossen? Oder ist die Voraussetzung für eine weitere Entwicklung des Mitarbeiters eine fachlich bzw. organisatorische Veränderung – was letztlich heißen kann, dass er nicht mehr das tun kann, was ihm am meisten liegt.

Es ist offensichtlich: selbst in klassischen Organisationen ist dieses Entwicklungsmodell wenig überzeugend. Umso erstaunlicher ist seine große Verbreitung. In agilen Organisationen entsteht der Bruch bereits in der Konzeption: wieso sollte ich eine differenzierte, fachliche Hierarchie aufbauen, wenn ich mich auf der anderen Seite bemühe, organisatorische Hierarchiestrukturen zu nivellieren?

Mitarbeiter und Management sind ratlos

Mit der zunehmenden Etablierung agiler Managementansätze in der Organisation tritt das Problem offen zutage. Der Mitarbeiter wünscht sich einen Entwicklungspfad und ist typischerweise in der Denkweise verhaftet, die er von früher – oder aus anderen Unternehmen – kennt. Schulterklappe und Visitenkarte haben noch ihren Wert.

Der agile Manager steht dem hilflos gegenüber: er kann die fachlichen Fähigkeiten des Mitarbeiters nur bedingt bewerten, da er auch keine fachliche Führung übernimmt (die erfolgt im Team). Die Einführung von Hierarchiestufen innerhalb von agilen Entwicklungsteams wird als kontraproduktiv wahrgenommen. Darüber hinaus ist das Bild dessen, was einen guten Softwareentwickler ausmacht, in einer agilen Entwicklungsorganisation deutlich vielschichtiger als es sich gewohnterweise darstellt. In einem gut positionierten Team ist der immer fröhliche, stets motivierende, aber fachlich nur mittelmäßige Entwickler ein genauso wertvolles Mitglied wie der introvertierte Spezialist, der die schwierigsten Probleme wegräumt. Auf welcher Basis verteilt man da Ränge?

Weniger Kontrolle, mehr Verantwortung

Die Herausforderung besteht darin, einen Weg zu finden, der die Entwicklung heterogener Persönlichkeiten in einem prinzipiell rangfreien Umfeld unterstützt.
Wie bei vielen Teilaspekten agiler Transformation steht und fällt der Erfolg damit, im Management Kontrolle abzugeben und dem Mitarbeiter Verantwortung zu überlassen – der diese auch annehmen muss. Hierin verbirgt sich insbesondere auf Mitarbeiterseite die maßgebliche Leistung des Umdenkens: es liegt an ihm eigene Ziele zu entwickeln, sowohl mittelfristig als auch langfristig. Unterstützt wird der Mitarbeiter hierbei durch sein Team, welches - bei genügender Reife - in der Lage sein sollte, ihm in den regelmäßigen Retrospektiven ein Bild zu vermitteln, wie seine jeweiligen Kompetenzen ausgeprägt sind.

Die Rolle des Managements besteht darin, den Mitarbeiter in diesem Prozess zu begleiten. Es reflektiert seine Ideen, hilft ihm sein Selbstbild mit den äußeren Wahrnehmungen in Einklang zu bringen und unterstützt ihn bei der Ableitung der nächsten Schritte. Angereichert wird dies durch richtungsweisende Impulse fundierend auf der technischen und strategischen Ausrichtung des Unternehmens und daraus abgeleiteten, unmittelbaren Entwicklungsangeboten.

Individuelle Weiterbildung einfordern

Die zentralen Angebote sind ein Mittel des Managements, die Mitarbeiter zu aktivieren. Dadurch werden sie aber nicht der Verantwortung enthoben, selber initiativ zu werden: es gilt grundsätzlich aus Sicht des Mitarbeiters das Pull-Prinzip. Vorgekaute Fortbildungsprogramme, definierte, fachliche Karrierepfade mit Entwicklungsstufen, die nach Abschluss bestimmter Zertifizierungen zu neuen Rangstufen führen, sind explizit nicht Bestandteil des Vorgehens. Wichtig ist allein, dass der Mitarbeiter für sich erkennt, wo seine individuellen Stärken und Schwächen liegen. Er muss den Eigenwillen mitbringen, seine Stärken zu entwickeln und Strategien zu erarbeiten, einen geeigneten Umgang mit seinen Schwächen zu finden oder diese mittel- bis langfristig zu relativieren.

Vielfalt ermöglichen

Die entstehenden Weiterentwicklungsmöglichkeiten sind vielfältig. Sie basieren auf einer Gesamtreflektion des Könnens und Vermögens des Mitarbeiters und beschränken sich nicht allein auf seinen fachlichen Fokus. So kann das Ziel von individuellen Weiterentwicklungsangeboten auch darin bestehen, die Präsentationsfähigkeit zu stärken, die Fähigkeit zu entwickeln, qualifiziertes Feedback zu geben oder Wissen zu vermitteln.

Es obliegt dem Management, hier die richtige Gratwanderung zwischen den Anliegen des Mitarbeiters zu finden, die eher seiner privaten Persönlichkeitsbildung dienen und denjenigen, die letztlich die Arbeit des Teams unterstützen und damit dem Unternehmen dienen. Der mögliche Raum ist jedoch weit gesteckt.

Was macht den Erfolg aus?

Für alle Seiten – Management, Team und Mitarbeiter – bleibt der Wunsch, die Summe der Bemühungen langfristig im Blick zu behalten. Dies kann in einfacher Weise durch die Dokumentation konkreter Fortbildungs- und Coachingaktivitäten erfolgen. Die Auseinandersetzung zwischen Mitarbeiter und Manager im Hinblick auf getroffene Maßnahmen und erzielten Wirkungen ist dann steter Bestandteil der weiteren Personalentwicklung.

Häufig stellt dies aber gerade die Mitarbeiter nicht abschließend zufrieden. Es besteht das verständliche Bedürfnis, nicht nur eine Maßnahmendokumentation in Händen zu halten, sondern auch eine Dokumentation der persönlichen Erfolge.

An diesem Punkt könnten Führungskräfte wieder auf die eindimensionale Betrachtungsweise „Junior – Senior – Architekt“ zurückfallen, in dem sie den Versuch unternehmen, die unterschiedlichsten Aktivitäten in Themenblöcke zu fassen und die Titelvergabe nach „Zielerreichungsgraden“ in den jeweiligen Kontexten zu richten. Damit würden sie das Vorgehen jedoch ad absurdum führen: Die mühsam geschaffenen Voraussetzungen zur Abbildung von Individualität und Vielfalt gehen neuerlich verloren und wir stoßen wieder auf die Endlichkeit des Konzepts im Hinblick auf die Dokumentation der persönlichen Weiterentwicklung.

Viel besser ist es hier, die tatsächlichen Erfolge, die durch die Weiterentwicklung erzielt werden, als solche zu feiern. Ein Mitarbeiter, der zuvor Schwierigkeiten hatte, vor unbekannten Menschen die Stimme zu erheben und nun seinen ersten Vortrag auf einer Konferenz hält, hat einen nennenswerten Erfolg erzielt. Dieser sollte erwähnt und zumindest symbolisch individuell belohnt werden. Stellt der Mitarbeiter fest, dass ihm die Vortragstätigkeit sogar richtig Spaß macht und wiederholt sein Engagement auf unterschiedlichen Konferenzformaten, so ist auch das ein guter Grund für eine besondere Auszeichnung.

Bei der Bewertung des Erfolgs spielt natürlich – davon kann sich niemand lösen – die persönliche Berufserfahrung eine Rolle. Diese Dimension bleibt, sofern sie nicht an Jahren der Berufserfahrung oder Ähnlichem festgemacht wird, zwangsläufig subjektiv.

Von Spielen lernen: Neue Entwicklungen im Badge-System

Die individuelle Würdigung gelingt durch die Einführung eines differenzierten Systems von kontextabhängigen „Abzeichen“ (oder auch als Anglizismus „Badges“), die Mitarbeiter unter bestimmten Rahmenbedingungen gewinnen können, die unternehmensöffentlich sind und auch Niederschlag in den Personalinformationen bis hin zum Arbeitszeugnis finden können.

So gelingt äußerst leicht die Abbildung von hochdifferenzierten Weiterentwicklungsmöglichkeiten weniger mit Blick auf die zugrundeliegenden Maßnahmen, sondern vielmehr mit dem Fokus auf den individuellen Erfolg, der aus den Maßnahmen resultiert. Dem Umfang des Badge-Systems sind faktisch keine Grenzen gesetzt, womit das Problem der „Endlichkeit“ des Weiterentwicklungskonzepts entfällt.

Bei einem durchdachten Design des Badge-Systems wird noch ein maßgeblicher, positiver Zusatzeffekt erzielt: es können dieselben Anreizmechanismen greifen, die auch Grundlage von herkömmlichen Spielkonzepten sind. So wirkt dann für den Mitarbeiter nicht mehr allein der abstrakte Gedanke an Weiterentwicklung motivierend, sondern darüber hinaus der Ehrgeiz, das nächste „Badge“ für sich zu gewinnen.

Sorgsam sollten Führungskräfte hier allerdings darauf achten, dass die persönliche Motivation des Mitarbeiters und das Badge-System nicht so interagieren, dass im Ergebnis der Mitarbeiter den Fokus auf seine Kerntätigkeit verliert. Hier ist wieder die Wechselwirkung mit Team und Management als regulierende Faktoren entscheidend.

Alle gewinnen

Gelingt es, den Mitarbeitern diesen Weg nahezubringen und gleichzeitig das Management zu befähigen, eine zielgerichtete Begleitung zu ermöglichen, gewinnen alle. Der Mitarbeiter lernt, selbst seine Ziele zu stecken und entwickelt sich ihnen entsprechend weiter. Er sieht dies dokumentiert und als Bestandteil seines Lebenslaufs. Über das Badge-System erfolgt eine Strukturierung des Erreichten mit dem Fokus auf den Erfolgen und weniger auf dem Abarbeiten von Lerninhalten.

Das Management verschiebt seinen Fokus von einer Führung der Mitarbeiterentwicklung auf ein Coaching des Mitarbeiters zu einem selbstgestaltenden, mündigen und vermehrt eigenmotivierten Kollegen. Damit stärkt der Mitarbeiter das Team und kann seinen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg des Unternehmens erhöhen.

Und schließlich: fachliche Ränge gehören der Vergangenheit an.